Der Kaiser und die Spione

Mal was historio-politisches:

Artikel 20 besagt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“
Das Volk ist also, so nennt man das, der Souverän.
Das bedeutet, dass das Volk quasi in der gleichen Position ist wie früher Könige und Kaiser. In beiden Fällen gibt es Staatsdiener und Beamte, die den Willen ihres Souveräns ausführen sollen.
Nun stelle man sich folgendes vor: Der alte Fritz oder von mir aus auch Kaiser Wilhelm sitzen an ihrem goldenen Schreibtisch in einem ihrer Paläste und lesen Zeitung. Und was müssen sie lesen? Der englische König hat Spione am kaiserlichen Hof! Jede Korrespondenz wird abgeschrieben und nach England geschickt! Und nicht nur das. Jedes Gespräch, ob offiziell mit Abgesandten und Beamten oder privat mit der Familie, wurde belauscht und protokolliert. Ja, sogar was der Kaiser an dem Ort liest, zu dem selbst er zu Fuß geht, ist den Engländern bekannt!
Mit der Zornesröte im Gesicht ruft der Kaiser seine Beamte herbei. Sie sollen ihm Rede und Antwort stehen. Und was sagen sie ihm?
„Oh, Majestät, wir wissen nicht, ob die Details des Zeitungsartikels stimmen. Die Vornamen der Spione sind uns unbekannt. Außerdem könnte es mehrere mit dem gleichen Nachnamen geben.“
„Ich komme soeben aus England zurück. Dort habe ich mit einem Lieutnant der Wache des Towers gesprochen. Dieser meinte, das wäre alles nur zur Sicherheit Eurer Majestät.“
„Es besteht kein Grund zur Besorgnis, Majestät, Ihr seid immerhin der Kaiser. Und als solcher habt Ihr nichts zu verbergen.“
„Natürlich sind diese Maßnahmen absolut rechtskonform. Wir haben eigens hierfür Gesetze geschrieben. Außerdem haben wir wichtige Erkenntnisse durch diese Spione erlangt. Aber leider dürfen wir sie euer Majestät nicht zeigen. Die sind nämlich geheim. Das versteht Ihr sicher, Majestät.“
„Euer Majestät, die Diskussion über diese Frage ist bereits für beendet erklärt worden.“

Es bedarf wenig Fantasie, sich auszumalen, wie der Kaiser darauf reagieren wird.
Wäre er aber wie der heutige Souverän, würde er müde und leicht verwirrt seine Beamten anblinzeln, mit den Schultern zucken und wieder zum Puppentheater herüber schauen.
Nun, vielleicht auch nicht. Hoffe ich. Vielleicht haut er auch auf den Tisch und lässt seine Hofbeamten mit Haselnussgerten aus dem Palast jagen.
Was auch immer geschieht, wir werden es am Sonntag um 18 Uhr wissen.

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2 Antworten zu Der Kaiser und die Spione

  1. Jan schreibt:

    Sehr cooler Vergleich!

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